Vor etwa einem halben Jahr habe ich „The Circle“ von Dave Eggers gelesen. Die Kritik im Feuilleton der obigen Ausgabe ist zu guten Teilen verfehlt.

Zum Beitrag „Macht Transparenz Gefühle erträglicher?“ von Marie Schmidt (dritte Spalte);

Bezug nehmend auf die Möglichkeit zur Herstellung einer totalen Transparenz (Videoüberwachung etc.) wird folgende Stelle aufgegriffen, der „Boss“, einer der drei 'wise men' wird aus dem Buch zitiert: „Die erste Möglichkeit wäre, zu begreifen, dass das Verhalten, über das wir reden, so weitverbreitet und harmlos ist, dass es nicht geheim sein muss. … Wir bewegen uns Richtung Ehrlichkeit, und wir bewegen uns weg von Scham. Die zweite Möglichkeit wäre sogar noch besser, denn wenn wir alle, als Gesellschaft, beschließen, dass wir ein derartiges Verhalten unterlassen sollten, dann würde die Tatsache, dass jeder sofort weiß oder wissen kann, wer sich so verhält, verhindern, dass sich überhaupt jemand so verhält.“ Frau Schmidt verfährt nun so: Die im Zitat beschriebene Auffassung bzw. Meinung wird als Meinung von D. Eggers dargestellt. Dies jedoch ist ein Fehler der Kategorie „schlimmer geht es nicht“. Die ganze Architektur des Romans ist darauf abgestellt zu erhellen, dass gerade eine solche Meinung die zu revidierende und eben keinesfalls die Meinung von Dave Eggers ist. Diese Kritik ist also völlig abwegig und ich muss mich fragen, ob Frau Schmidt das Buch überhaupt gelesen hat.

Zum Beitrag „Ist ‚The Circle‘ ein gutes Buch?“ von Frau Mangold:

Zu meiner Ausgangslage: Für mich war das Buch ein Erlebnis, eine erste bedeutende Antwort aus der Belletristik zu den drängenden Fragen über die Informationstechnologie. Auch der zu Grunde liegende Spannungsaufbau und die Bildersprache des Romans haben mich fasziniert. Aber wie sollte ich mit diesem kritischen Beitrag von Frau Mangold umgehen, nachdem im gleichen Artikel obiger Unsinn verbraten wurde (tiefer stehende Zitate aus dem Beitrag von Frau Mangold):

„…Figuren platt und eindimensional…“ Zu dieser Frage muss man erkennen, dass das Buch formal und im weitesten Sinn auch grammatikalisch in zwei Welten spielt: Außenwelt und Circle. Für mich sind die eindimensional zum Circle gehörigen Figuren bewusst schablonenartig und ohne das filigrane Wesen eines jeden tatsächlichen Menschen erstellt. Gerade dadurch erhellt sich die eben unmenschliche zerstörerische „Kultur“ des Circle. In der „Außenwelt“ sind die Darstellungsketten in mehreren Spannungsebenen angelegt und es werden Gedankenwelten ohne platte direkte Nennung sondern z.B. durch indirekte ästhetische Bezüge hergestellt. In Verkennung dieser Polarität wird hier also ein Element kritisiert, das gar nicht verstanden wurde.

„…Vorhersehbarkeit der Handlung…“ Ich glaube nicht, dass ich der einzige bin, der so gelesen hat: Am Schluss des Buches stehen die Thesen des Ty (einer Hauptfigur zwischen den beiden Welten), die helfen sollen bessere Regeln in unserem digitalen Zeitalter zu erstellen. Ich zitterte, während ich diese Thesen las…werden sie die globale Welt erreichen?...und dann die maßlose Enttäuschung, die ich nicht erwartet hätte….weil – wie der wahre Eros zwischen Mae und Ty nicht siegt so siegt auch das erhoffte gesellschaftliche Engagement nicht. Es ist ein Wechselbad der Erwartungen, und ich habe den Handlungszug keinesfalls so vorausgesehen. Das ist nur ein Beispiel der zahlreichen kaum vorhersehbaren Handlungsverläufe in dem Buch.

„….Der Verblendungszusammenhang, den Eggers entwirft, ist so plump…“ bemerkt Frau Mangold tadelnd. Genau andersherum ist jedoch diese Plumpheit, die man auch Dummheit nennen könnte, verkettet mit dem Aktionsplan der großen digitalen global Player. Diese Plumpheit muss dargestellt werden und genau dies gelingt Eggers. In dieser Problematik bildet sich ein Segment einer Gedankenfigur von Hanna Arendt ab, Stichwort „die Banalität des Bösen“.

„….klischeehafte Schwarz-Weiß-Kontraste von Gut und Böse….“ Diese Feststellung kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Zahlreiche Entitäten in dem Roman lassen sich nicht als gut oder böse einstufen, obwohl sie sich im Zentrum gerade dieser Fragestellung befinden, so
z.B. der Charakter des Ty, einer der Hauptfiguren.

„…klischeehaft…“ Eine Passage aus der von mir so genannten Außenwelt sei aufgegriffen: Anlässlich eines gefährlichen Ausfluges auf eine Insel in der Nähe einer Meereseinbuchtung versucht Mae auf einen Baum zu klettern und entdeckt ein Vogelnest, dem sie sich neugierig nähern will. Es gelingt ihr jedoch nicht, den Inhalt des Nestes zu erspähen. Dieses Handlungsbild ist in eine Schilderung der faszinierenden Natur, der Landschaft gesetzt und erfährt dadurch eine Überhöhung. So wird das Vogelnest zur Chiffre für den notwendigen Schutz unseres Inneren, unserer Intimsphäre vor aggressiver Transparenz. Wenn man die jungen Vögel berührt, so lautet eine Fama, werden sie von der Mutter verlassen und gehen ein. Die hier anklingende Gedankenfigur erstellt Eggers bei weitem nicht platt oder wortwörtlich sondern bietet sie uns als Vision, dem Leser bleibt eine Deutungshoheit (markantes Merkmal einer jeden guten Belletristik). Auch hier muss ich mich fragen, ob Frau Mangold solche Passagen überhaupt verstanden hat, weil sie ja anmahnt, dass solche Elemente im Roman fehlen. Es ist dies ist nur ein Beispiel der zahlreichen mit Bildern verschlüsselten Aussagen.

Das Buch mag kein herausragendes Beispiel eines gelungenen Romans sein. Jedoch war ich fasziniert und in meinem Inneren getroffen. Da ich nicht sehr bewandert bin in englisch-sprachiger Literatur, kann ich die unmittelbare sprachliche Qualität nur eingeschränkt beurteilen. Den blasierten und überlegen-abgehobenen Text von Frau Mangold empfinde ich als Ärgernis.