Bezug auch zum Interview im SPIEGEL vom 21.05.16 mit Prof. Gelernter, Yale University, USA Bezug auch auf dieser Homepage > Notizen: Grenzen unserer Gedanken
Interview vom 07.05.16 mit dem Philosophen Thomas Metzinger, Mainz
Herr Metzinger hat einige einfache Dinge nicht begriffen. Und zwar sind u.a. die Ergebnisse des folgenden Gedankenexperimentes und die nachfolgend dargelegten Zusammenhänge nicht zu widerlegen:
Man identifiziert im Gehirn eine Zellregion, die für das Ich-Gefühl mit verantwortlich ist. Nehmen wir nun an, dass man sich einem Atom dieser Region z.B. mittels naturwissenschaftlichem Erkenntnisprozess nähern kann, der uns dann ausweist, dass dieses Atom eine bestimmte Morphologie und eine bestimmte Funktion besitzt. Unsere naturwissenschaftlichen Erfassungsmethoden weisen uns dann auch aus, dass die gefundene Eigenschaft des Atoms eine Tatsache sei.
Wir wissen jedoch aus der Entwicklung der menschlichen Erkenntnis, dass - historisch betrachtet - jedes naturwissenschaftliche Vordringen in den Mikro- oder Makrokosmos zu einer bestimmten vermeintlichen Erkenntnis der kleinsten und größten Bausteine geführt hat. Dem erkennenden Bewusstsein von uns Menschen war dann zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt jeweils nahegelegt, dass dieses oder jenes Element (z.B. das "Atom" in den 1950-er Jahren) das kleinste im Universum sei. In der Folgezeit wurde dies dann immer widerlegt. Z.B. sind die heute entdeckten Elementarteilchen wesentlich kleiner als die Atome.
Wir müssen also gegenüber der von uns aktuell gesetzten Definition für die Bausteine der Materie sehr skeptisch sein, wenn wir nach der übergeordneten Geltung dieser Definition fragen. Es könnte z. B. der Fall sein, dass ein Atom (etwa das oben im menschlichen Gehirn benannte) in sich so viele Merkmale, Funktionen und Eigenschaften besitzt wie unsere Erde samt Besiedelung und atmosphärischer Hülle. Oder wie will man beweisen, dass ein Gegenstand, z.B. ein Elementarteilchen nicht in eine Million Einzelteile aufteilbar ist? Die aktuell fehlende Klärung dieser Frage müssen wir als gegebene Tatsache hinnehmen. Gesetzt also den Fall, dass sich hinter der heute erfassten Materie noch viele unerkannte Systeme verbergen, dann erfassen wir nur einen Bruchteil der tatsächlichen Welt.
Das hier anskizzierte Phänomen des Nicht-Wissens bezieht sich nur auf einen kleinen Teil der Erkenntnis-Sphäre zu unserer Welt und die Masse des gesamten Nicht-Wissens ist also sehr groß. Dass wir trotzdem Avatare oder agierende Roboter mit einer so dann benannten und erbauten Ich-Funktion erstellen, ist nicht erstaunlich, denn alles was wir erkennen, können wir ganz oder zum Teil erbauen oder gegenständlich vermittelt darstellen. Die Tiefe der per IT dargestellten Individualität reicht möglicherweise jedoch bei weitem nicht an die eines "echten" Individuums heran. Denn dieses könnte sogar - eingedenk des oben benannten Nicht-Wissens - unendlich sein.
In einem vergleichbaren Bedeutungsfeld liegt die Behauptung der "reduktionistischen" Fraktion der Hirnforscher, dass man das Bewusstsein mittels naturwissenschaftlicher Verfahren erfassen könne. Aus einer anderen Ideen-Stoßrichtung auf diese Frage zukommend könnte man dann in Anlehnung an die Argumentation obiger Hirnforscher sagen: Schaffen wir den Begriff z.B. der Unendlichkeit ab, diese gibt es nicht, denn letztlich ist alles messbar. Dies würde jedoch unsere Ideenwelt fast unerträglich beschneiden. Denn jener Begriff der Ausdehnung oder der Varianz zum Unendlichen hin hat uns Menschen schon immer fasziniert und wird uns weiter faszinieren. Bereits Heraklit sagte: "Man kann nicht zweimal in denselben Fluss hineinsteigen." (Gemeint ist die hier schier unendlich große Zahl an Veränderungen, die Sekunde für Sekunde in einem Fluß stattfindet.)
Man kann die Frage nach dem Ich bzw. nach dem Bewusstsein auch über andere Denkachsen angehen. Wenn wir annehmen, dass die Individuen untereinander in Beziehung stehen, kann man auch annehmen, dass solche Beziehungen kontinuierlich ohne Unterbrechung in irgendeiner Weise bestehen. Als Hypothese kann man z.B. sagen, dass diese Beziehung zwischen dem Subjekt (Ich) und einem Objekt (Mitmensch) besteht. Was jedoch diese Beziehung in ihrer Substanz oder ihrer Entität ist, lässt sich nicht klar definieren. Während des Bestehens der genannten Beziehung bin ich mir meiner Identität, meines Selbst bewusst. Als hypothetische Annahme können wir also einen drei-Schritte-Prozess erkennen: Ich starte eine Initiative, das Objekt erleidet meine Zuwendung und ich selbst empfinde dann mein Bewusstsein. Ohne mich auf eine morphologisch-Substanz-orientierte Darstellung zu beziehen, ergibt sich hier ein möglicher generativer Zusammenhang für das Bewußtsein. Um eine solche Sachlage als Möglichkeit zu aktzeptieren, muss man jedoch auch wieder den Bestand des Nicht-Wissens heranziehen. Das Nicht-Wissen bezieht sich hier auf den Kern und das Umfeld der Idee, dass Subjektivität nur durch Wechselbeziehung mit einem menschlichen Objekt entstehen kann; anders ausgedrückt: Das Selbst kann für sich selbst kein Objekt sein.
In dem Artikel klingt an, dass man Angst haben könnte vor der "reduktionistischen" Auslegung zur Definition des Bewusstseins und dass die "Fraktion der ist geisteswissenschaftlichen Hirnforscher" fürchtet, dass ihnen das lieb gewordene Feld des nicht "genauen" (Zitat Metzinger) Schwadronierens über das Bewusstsein genommen wird. Diese Nahelegung ist für mich abwegig, da die oben anskizzierten Unklarheiten zur Erkenntnis der Welt unzweifelhaft bestehen. Im Gegenteil sind Statements wie dieses von Herrn Metzinger für mich sehr anregend und amüsant, weil sie eben wieder Stoff zum Nachdenken bieten.