Haben die folgenden Gefahren einen realen Stellenwert?

  1. In der Weltgeschichte gab es immer wieder Phasen der Dekadenz.
    Möglicherweise befindet sich die kulturelle Entwicklung der westlichen Industriestaaten in einer solchen.
  2. Stichwort „Wäremtod der Gesellschaft“: aufgetauchter Begriff in der Philosophie während der letzten Jahre, dass nämlich die Gesamtzunahme der Bewegungen (virtuell + gegenständlich) auf der Welt (z.B. Verkehr, Transport, Informationsflüsse, Partnerwechsel, generierte Wärmeenergie, Halbwertszeit von angewendeten Strategien in der Wirtschaft oder Wissenschaft, Anzahl der gesehenen Gesichter per Medien und konkret) eine zerstörerische Wirkung entfaltet.
  3. Hat die Zerstörung der Körper der Mitbürger (Diabetes, Bewegungsmangel) tragende Bedeutung?
  4. Gibt es eine zunehmende Asymmetrie der Zugriffsrechte (sprich Vermögesnsbesitz und Einkünfte)?

Wenn wir einen guten Teil obiger Fragen mit „ja“ beantworten, dann müssen wir befürchten, dass diese zerstörerischen Elemente die Entität des Urheberrechtes in eine verfälschte Wahrnehmung verschieben:

 

Das Geld als letztliche Instanz für die anstehende Entscheidungsfrage zum Recht auf Entlohnung der Urheberleistung kann wegen seines beschädigten Zustandes (siehe Artikel über Geld in dieser Website/Notizen)hier nicht verwendet werden.

 

Vielleicht hilft uns ein Gedankenspiel: Die Verlagerung der Geschehnisse in eine kleine Menschengruppe, mag es ein Stamm oder eine Sippe im vorindustriellen Zeitalter sein, die relativ abgeschieden lebt. Einem Stammesmitglied gelingt es, Spiele und Lieder zu erfinden, die umgehend von seinesgleichen angenommen und zur täglichen Bereicherung verwendet werden. In dem so vorgestellten Umfeld wird uns klar, dass dem betreffenden „Autor“ eine gewisse Dosis an zusätzlicher Wertschätzung oder bestimmte Zugriffsrechte (z.B. Einladungen) oder Geschenke dargebracht werden. Dieser so skizzierte Vorgang stellt natürlich eine Abstraktion von der Eingangsfrage dar. Wir haben das übergeordnet in Frage stehende Geschehnis (generierte Autorenschaft) von unserem ökonomischen und einem guten Teil unserer etablierten Wertevorstellungen abstrahiert und in einer Vorform seiner selbst gebracht.

 

Es sind jedoch in obigem Gedankenspiel Elemente enthalten, die auch in unserem Wertegerüst gelten. Im Kern ist es das Zugeständnis des Konsumenten gegenüber dem Autor, dass er etwas für ihn geleistet hat. Dieser so verstandene „Rumpf“-Sachverhalt weist nun zusätzlich Verknüpfungen zu elementaren Entitäten des menschlichen Zusammenlebens auf: Wenn jemand eine Leistung für die Gemeinschaft erbringt, die als helfend oder bereichernd angenommen wird, so entsteht (den empirischen Regeln der Ethik folgend) in der Gemeinschaft der Wunsch, dem Erbringer dafür etwas zurückzugeben und dankbar zu sein. Beispiele: Erfinder des Kunstdüngers, Religionsgründer, Mozart, Organisator eines Straßenfestes.

 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser elementare Impuls (oben genannter Wunsch) in der Kultur des menschlichen Zusammenlebens aufgehoben werden kann. Wenn man in Richtung auf den Ursprung der genannten Empfindung extrapoliert, zeigt sich die schier ubiquitäre Präsenz dieses Zusammenhanges von Geben und Nehmen, wie jegliche Gemeinschaft davon getragen wird, wie sehr viele unserer Handlungen diese Merkmale (Geben und Nehmen) aufweisen: Nachbarschaftshilfe, die ersten Küsse eines Liebespaares, die Arbeit eines Lokomotivführers, Sänger auf einem Rock-Festival, der ausgetauschte Gruß am Morgen zwischen einem Jogger und einer Zeitungs-Austrägerin.

 

Nehmen wir nun diese Gedanken herüber in das Netz; dort treten dann schon etwas andere Handlungszüge ins Auge: Ohne Begegnung mit anderen Individuen, also ohne Buchhändler, Galeristen oder wissenden Mitbürger kann ich dort in eine riesige Gedankenwelt eintreten, bestimmte Nutzungen treffen oder Informationen beschaffen. Bei letzteren Handlungen (sofern sie als nicht-interaktiv geschaltet sind) begegnet mir kein menschliches Auge; keinen Händedruck spüre ich; ich höre keine Sprache, die aus einem durchbluteten Gesicht kommt, das ich anfassen könnte; kein Gegenüber reagiert, wenn ich mir tausend Einheiten nehme oder nur fünf. Denn mein Gegenüber ist un-menschlich. Die so skizzierten Geschehnisse nehmen einen großen Raum in unserem Tagwerk ein und sie beeinflussen sicher unser Lebensgefühl, unsere Weltsicht. Es ist jedoch falsch, wenn wir aus diesem Denkraum heraus unsere zwischenmenschlichen Beziehungen regeln, denn dann werden auch diese von der oben genannten Unmenschlichkeit infiziert. Die zwischenmenschlichen Beziehungen müssen im Einklang mit unserer menschlichen Evolution und unseren Genen stehen. Deswegen müssen im Urheberrecht jene oben genannten elementaren Impulse oder Empfindungen berücksichtigt werden.Das „Zurückgeben“ mittels Geld ist zwar wegen der Beschädigung des Geldes (siehe oben) bei weitem kein global richtiger Weg. Er ist jedoch viel, viel besser als die gänzliche Unterlassung, denn wir haben keine andere Möglichkeit, zurückzugeben. Es ergibt sich also, dass die ausbleibende Entlohnung der Urheberschaft ein Irrweg ist, abgesehen von der Tatsache, dass man damit viele Mitbürger mit eiskaltem Kalkül in den Ruin treiben würde.

 

Noch ein Seitenblick: Von den Befürwortern einer kostenfreien Quellenverfügbarkeit im Internet wird immer wieder – etwas verkürzt dargestellt – der Gedanke einer Vernetzung aller Individuen, dass eben ein Einzelner nicht ohne seine Rückgriffe in das Netz (sprich: Partizipation bei den Mitmenschen) ein Werk erstellen könne. Deswegen würde alles im Sinne einer gemeinsamen Berechtigung auf das Netz und seine Quellen zusammenhängen. Viele der oben genannten Web-User halten dies für eine unwahrscheinlich neue und revolutionäre Idee. Sie vergessen dabei oder wissen es nicht, dass auf diesem Feld schon lange und ohne Mausklick viel radikalere Konzepte entwickelt wurden: Z. B. hat Ibn Ruschd, ein bedeutender arabischer Gelehrter, dessen Ideen z.B. Tohmas von Aquin beeinflussten, die These vertreten, dass die Welt ein Organismus als Ganzes sei und alle Lebewesen und Stoffe seien Teile davon wie eben z.B. das Auge ein Teil unseres Kopfes ist. Eine Nivellierung der Zugriffsrechte (=Nivellierung von Besitz an Zahlungsmitteln) der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft oder des Organismus konnte davon aber nicht hergeleitet werden.