Buchloe, 22.03.12
Zu obigem Thema habe ich während der letzten 15 Jahre mehrere Projekte initiiert und unterstützt. Dabei sind aus meiner Sicht die im Folgenden skizzierten Problematiken ein wesentliches Merkmal der aktuellen Alpinschi-Praxis und ich denke, sie sind es wert, zur Diskussion gestellt zu werden, insbesondesre aus Sicht der Sportmedizin:
Zusammenfassung:
Aktuell wird bei vielen Freizeitschiläufern die technische Fertigkeit zur Befahrung von welligen Pistenabschniten (u.a. Anwendung des Tiefschwunges) zu wenig beherrscht. Dies führt zu Misserfolgen bzw. negativen Erlebnissen und Unfällen beim Befahren von Buckelpisten, Endabschnitten bei Schitouren sowie Firnschnee. Hierzu kontrastiert auch die bei dieser Technik erforderliche Dosierbarkeit der Bewegung im oberen Sprunggelenk einerseits und das Angebot der Schischuhe auf dem Markt andererseits. Eine Möglichkeit zur Verringerung der Verletzungsgefahr und des Kräfteeintrages am Kniegelenk in diesem Zusammenhang wird in einer Arbeit von Dr. Nico Kurpiers aus 2011 dargestellt.
Meine persönliche Wahrnehmung
Als vormals niedergelassener Hausarzt (bis Juni 2011) und Sportmediziner (einschließlich Teilhabe in den einschlägigen örtlichen Vereinen) sowie als engagierter Schitourist, der auf ca. 55 Jahre intensive Nutzung der Institution Schischule zurückblickt, besitze ich zum Thema ein ganz bestimmtes Wahrnehmungsfeld. U.a. ist mein Ansatzpunkt der durchschnittliche bis gute Schiläufer, dessen Belange ich auf sportmedizinischen Kongressen gelegentlich unterrepräsentiert sehe:
- Stichwort Tiefschnee: Immer mehr Schiläufer bewegen sich im „unverspurten“ Gelände. Alle diese Abfahrten werden in Talnähe über gewisse Stücke zu Buckelpisten. Es ist zu beobachten, dass sonst gute Schiläufer hier oft Mühe haben und die erforderliche Technik nicht beherrschen mit der Folge von Verletzungsgefahren.
- Es gibt kaum Untersuchungen darüber, wie die gewünschte und die tatsächlich vorhandene Flexionssteifigkeit des Schischuhes im Sprunggelenkbereich sich auf Unfälle und Fahrpraktiken auswirkt. Um die persönliche Passung zu erreichen, muss ein Schischuh mangels Verstellmöglichkeit oft erst „eingefahren“ werden.
- Von den Schischulen wird der Tiefschwung, wie er im welligen Gelände technik-gerecht gefahren werden sollte, fast nicht gelehrt.
- Im November 2006 veranstaltete ich mit Unterstützung von Prof. Senner*) eine Arbeitssitzung an der TU München, initiiert u.a. in Synopsis mit der seit 1994 bestehenden einschlägigen Forschungsarbeit unserer Gruppierung *). Themenskizze war u.a.: Wie beeinflusst eine Buckelpiste Unfallgefahr und Geschwindigkeit? Anwesende bei dieser Tagung waren Meinungsbildner bzw. Angehörige der Vorstandschaft aus: Deutscher Schiverband, Deutscher Schilehrerverband, Trainer div. Nationalkader, Verband Deutscher Seilbahnen, ein Buckelpistenexperte, Vertreter von einschlägigen Fachzeitschriften, Vertreter aus der sportmedizinischen Betreuung, Alpenschutzkommission, Kompetenzzentrum Wintersport Garmisch-Partenkirchen, Krankenkassen u.a. Dabei ergab sich gemäß Protokoll u.a. sinngemäß folgender Konsens: Das Erlernen der Fahrtechnik auf welliger Piste ist ein notwendiger Bestandteil der Schilehrplanes, um zusätzliche Freude an der Bewegung zu generieren und um auftretende Gefahren besser zu beherrschen.
- Folgt man den Untersuchungsergebnissen aus der Arbeit von Dr. Nico Kurpiers (der sich mit uns des Öfteren Themen-bezogen austauschte) „Dynamics of Freestyle Skiing – Equipment development and implications for injury perevention strategies“, so ist anzunehmen, dass eine Vergrößerung des Flexion-Extension-Segmentes (per Schischuh-Modifikation) im oberen Sprunggenlenk mit einer Verminderung der Gefahr der Kreuzbandverletzung und des Kräfteeintrages am Kniegelenk einher geht.
- Mehrfache Auftritte unserer Gruppierung*) auf internationalen Kongressen (ISSS in Saalbach und Pontresina, sowie mehrmals Sportärztekongress in St. Christoph am Arlberg) trafen im Wesentlichen auf Zustimmung im Sinne des unter Punkt (4) benannten Konsenses.
- Auch Kindern wird das Befahren von welligem Gelände in den Schischulen zu wenig gelehrt, und zwar insbesondere beim Übergang vom Hängegleichgewicht zum Pendelgleichgewicht.
- Firnschnee: Nur mit dem Tiefschwung kann man bei geringer Geschwindigkeit störende Druckspitzen (und Einbrechen) gegen die Schneeoberfläche vermeiden.
- Das Gerücht von der für die Gelenke schädliche Buckelpiste: Jeder, der die Technik in diesem Gelände unter Beibehaltung von Schneekontakt beherrscht, wird jene Zuweisung nicht nachvollziehen können.
Sich aus meiner Sicht ergebende Fragen und eventuelle Konsequenzen:
- Die in den obigen Punkten 1, 4 und 5 anklingende Erfordernis kontrastiert in geradezu lächerlicher Weise mit der Tatsache, dass von den einschlägigen Entscheidungs- und Meinungsträgern (Schischulen samt übergeordneten Institutionen, sportmedizinische Instanzen, Gestalter des Erscheinungsbild Alpinschilauf in den Medien) keinerlei Initiative ergriffen wird. Warum ist dies so?
- Weiterführende Forschung zu den oben anskizzierten Sachverhalten (insbesondere Punkt 5) scheint mir erforderlich.
- Ein verbesserter Dialog zwischen Sportmedizin einerseits und Schischulen sowie Schischuhproduzenten andererseits ist erforderlich.
*)
Im vorauslaufenden Schriftverkehr benannte Mitwirkende u.a. bei unserem 1994 initiierten Forschugsprojekt:
Prof. Dr. Ing. Veit Senner, Leiter Abteilung für Sportgeräteentwicklung und Materialien
TU München,
Dr. Thomas Brandauer, Leiter Sportpsychologische Abteilung am Landessportinstitut des Landes Kärnten, Österreich
Jürg Biner, Vizeweltmeister Buckelpiste 1989
Walter Olbert
(beide letztgenannte Initiatoren des Projektes)